Chantal Remmert von Erna Primula mischt gerade die Floristik-Branche auf und hat es sich zur Aufgabe gemacht nachhaltiges Gärtnern in Deutschland bekannter zu machen. Ich hatte noch nie etwas von einer Slowflower-Bewegung gehört, aber bei näherem Hinsehen macht es soviel Sinn: ich habe mich schon immer gewundert, wie billig die Tulpen aus Holland hier im Supermarkt verkauft werden und wie das überhaupt möglich ist. Ein Naturprodukt durch die Lande transportieren? Manchmal verstecken sich eben schon hinter einem bunten Strauß Blumen große Umweltsünden. Chantal ruft uns mit ihrer Berufung in Erinnerung, was unser eigenes Konsumverhalten bewirken kann.
Lest hier das Interview mit einer Powerfrau, die sich für den ökologischen, saisonalen und regionalen Anbau und Verkau von Blumen einsetzt.
1. Wer ist Chantal Remmert? Hallo, ich bin Chantal! Ich habe an der TU Berlin nach meinem Abitur Landschaftsarchitektur studiert und habe im Jahr 2016 Erna Primula - Blumen Studio gegründet. Meine Leidenschaften sind Slowflowers, meine Hündin, Reisen & Surfen! 2. Welche Blumen blühen gerade hierzulande? Jetzt im Dezember haben wir Chrysanthemen und Zierkohl im Freiland, dazu haben wir getrocknete Gräser, Samenstände und Blüten sowie Nadel- und Immergrün.
3. Wer oder was inspiriert Dich dazu dein Leben den Blumen zu widmen? Meine Freundin, die ich seit dem Kindergarten kenne, sagt immer, dass wir damals „Blumenladen“ im Garten meiner Kindheit gespielt haben. Zwischendurch wurde der Wunsch mit frischen Blumen zu arbeiten lauter und leiser. Während des Studiums habe ich mich viel mit urbanen Prozessen und Gerechtigkeit beschäftigt, auch das ist nach wie vor ein Teil von mir. Im Winter 2015/2016 hat mir mein Freund das Buch „Ingrids Vintage Flowers“ von Ingrid Carozzi geschenkt, das hat dann den Stein endgültig ins Rollen gebracht.
4. Verfolgst Du eine Mission? Ich möchte gerne meine Liebe zu nachhaltig angebauten Blumen weitergeben. Zum Einen ist es mir sehr wichtig darüber aufzuklären, warum konventionell produzierte Schnittblumen oftmals problematisch sind. Deshalb liebe ich auch die Slowflower-Bewegung so, wie sind auf bunter Haufen verteilt im deutschsprachigen Raum, die alle an die selbe Idee glauben: Ein Naturprodukt darf nicht auf die Kosten von Umwelt und Produzierenden angebaut werden. Das ist der größte Widerspruch in sich. Und deshalb bauen wir Schnittblumen ohne Pestizide, chemische Düngemittel und mit kurzen Transportwegen an! Natürlich gewachsene Blumen sind außerdem einzigartig in ihrem Habitus und leiten mein Design! Da wären wir beim Stichwort Design, für mich es die größte Belohnung mit meinen eigenen, nachhaltig angebauten Blumen gestalten zu dürfen. Nur einen kleinen Teil meiner Zeit arbeite ich an der Blume, viel Zeit geht im Anbau und beim Papierkram drauf. Aber durch die Feld zu streifen, Texturen, Farben und Gerüche zusammen zu stellen und damit ein einzigartiges Produkt zu kreieren, das ist wirklich toll! Diese Freude möchte ich weitergeben und Teilen. Deshalb mache ich u.a. Workshops, habe einen Online-Shop für Saatgut und arbeite momentan an einem Buch.
5. Wovon benötigen Frauen heutzutage in deinen Augen mehr (außer Blumen :-)? Wovon benötigen Frauen weniger? Oh, das ist eine gute Frage! Wir Frauen* benötigen, meiner Meinung nach, dass uns mehr Respekt entgegen gebracht wird, unsere Kompetenzen anerkannt werden, mehr Mitsprache, mehr Macht und mehr Geld! Solang es in unserer Gesellschaft diesbezüglich ein Gefälle in direktem Zusammenhang mit dem Geschlecht (hier kannst du Hautfarbe, Glaube, Herkunft und so weiter einsetzen) gibt, haben wir noch viel Arbeit vor uns. Weniger benötigen wir Diskriminierung, sexualisierte Gewalt, Reduzierung auf Äußerlichkeiten, Bevormundung und leider auch hier vieles mehr. Wir haben also wirklich noch viel Arbeit vor uns. 6. Wie begegnest Du Angst? (zum Beispiel Angst vor großen Herausforderungen, Existenzängsten in Zeiten von Corona) Wenn ich Angst habe, tausche ich mich aus, suche ich das Gespräch. Bei kleineren Dingen mache ich einen ausgiebigen Spaziergang mit meiner Hündin Erna und grüble darauf herum. Corona hat mir Anfangs wirklich Angst gemacht! Gesundheitlich hatte ich Angst um meine Eltern und Menschen, die mir nahe stehen. Unternehmerisch betrachtet sind mir alle Aufträge der nächsten Monate, wirklich zu 100 % über das Lock-Down Wochenende im März weggebrochen. Das hat mir auch richtig Angst gemacht. Ich hatte das Gefühl alles geht vor die Hunde!
Zum Glück habe ich während meines Studiums eine Eigenschaft gelernt, oder sie hat sich entwickelt, die ich "Blockaden-Überwindung“ nenne. Im Studium haben wir viele Freiräume entworfen und immer wieder gesagt bekommen, dass es alles Grütze ist. Am Anfang brauchst du 2 Wochen um über den Schmerz und die Zweifel hinweg zu kommen und weiter daran zu arbeiten. Dann irgendwann nur noch 2 Tage und am Ende des Studiums kannst du innerhalb von 2 Stunden Kritik verarbeiten und deine Arbeit verbessern.
Der erste Corona-Lock Down hat mich ungefähr 2 Tage komplett vereinnahmt und dann hat mein Gehirn wie verrückt begonnen zu arbeiten. Was machst du, wenn keine Hochzeiten stattfinden können, für die deine Blumen gebraucht werden können? Was machst du, wenn bis Saisonende im Herbst noch nicht alles wieder normal ist? Was brauchen die Menschen jetzt? Welche Produkte und Dienstleistungen kann ich alternativ und Corona-konform anbieten? Ich liebe neue Ideen zu spinnen und es mit Verbündeten zu besprechen. So entstand die Idee mit dem Saatgut-Online-Shop, einem Blumen-Abo und dem Buch. Es ist eine spannende und super anstrengende Zeit, keine Frage!
7. Wie gehst Du mit Konkurrenz oder Neid um? Klar, kenne ich die Gefühle. Aber mit unserer Slowflower-Bewegung haben wir ein ganz tollen Netzwerk an Menschen geschaffen, die für das Schöne und Gute kämpfen und arbeiten. Für mich ist ein vertrauensvoller Austausch sehr wichtig. Auch die Erkenntnis, gerne mit Menschen gemeinsam Projekt umzusetzen, die dadurch noch großartiger werden. Und klar, wenn's zwischenmenschlich nicht passt, aufs Bauchgefühl hören und lieber die Energie für Herzensprojekte einsetzen.
8. Wie vereinbarst Du Arbeit und Familie? Da ich keine Kinder habe beziehe ich das auf meine Beziehung, den Hund und meine engere Familie und Freunde. Ich versuche so gut es geht in den Momenten präsent zu sein. Wenn ich arbeite, arbeite ich und wenn ich zum Beispiel spazieren gehe, dann arbeite ich da nicht. Das klappt manchmal besser, manchmal schlechter. Ich telefoniere außerdem gerne mit meinen Liebsten, wenn ich sie nicht sehen kann und fühle mich durchs Telefon oder übers Internet auch (zum Glück) mit meiner Außenwelt verbunden. 9. Hast Du ein Morgenritual? Ja, Kaffee trinken und im Winter den Vögeln auf dem Balkon zusehen. Ich wohne direkt am Auwald in Leipzig und genieße die Ruhe, die der Morgen in sich trägt. Nach dem ersten Kaffee gehts direkt mit Erna in den Wald, das ist jeden Tag großartig und ich liebe es. Der Stadtwald in Leipzig war mit einer der Gründe für mich aus Berlin hierher zu ziehen.
10. Welchen Rat würdest Du einer jungen Unternehmerin geben, die gerade erst an den Start geht? Trau dich! Umgib dich mit Menschen, die dich inspirieren. Hol dir Rat, wenn du nicht weiter weißt! Vernetz dich gut! Versuche deine Blockaden schnell zu überwinden und die freigesetzte Energie positiv zu nutzen.
Erna Primula findest du im Leipziger Osten (Oststraße 115, 04299 Leipzig) oder unter www.erna.primula.de.
Fotocredit: alle Fotos sind von Anne-Katrin Hutschenreuter von https://annabelle-sagt.de/
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